Richtig ist, der Staat hat, übrigens mit demokratischen Mitteln des Parlaments, Grundrechte eingeschränkt. Dies in der Güterabwägung verschiedener Grundrechte. Und unsere demokratischen Institutionen haben entschieden, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (vgl.: GG Art 2(2)) höher zu werten ist, als die Grundrechte die zum Schutz der Gesundheit einzuschränken waren oder noch eingeschränkt sind.
Die folgenden in Art. 1 bis 19 im Grundgesetz (GG) verbrieften Grundrechte waren oder sind derzeit noch (teilweise) eingeschränkt. Die damit verbundenen Fragen sind höchst komplex und die Auflistung versteht sich eher beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Art. 2 Abs. 1 GG: Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Mit Quarantäneanordnungen, Vorgaben für Kontaktreduzierungen und anderen Maßnahmen greift der Staat in das Recht der Freiheit der Person ein, etwa wenn Großeltern oder Freunde nicht mehr besucht werden können. Auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist eingeschränkt, wenn beispielsweise Geschäfte oder Betriebe geschlossen werden müssen.
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG: Religionsfreiheit
Die bundesweiten Versammlungsverbote greifen massiv und beispiellos in die Religionsfreiheit von Christen, Juden, Muslimen und anderen Religionsgemeinschaften ein. Jeder Gottesdienst gilt als öffentliche Versammlung, die nicht mehr oder nur eingeschränkt stattfinden kann. Die Freiheit der Religionsausübung ist damit eingeschränkt. Allerdings haben die Religionsgemeinschaften diesen Einschnitten selbst zugestimmt. Christen waren besonders über die Osterfeiertage betroffen, Muslime während des Fastenmonats Ramadan, Juden beim Pessachfest. In vielen Bundesländern gibt es inzwischen Lockerungen.
Art. 8 GG: Versammlungsfreiheit
Die Bundesländer haben unterschiedliche Versammlungsverbote erlassen und greifen damit in die Versammlungsfreiheit der Bürger*innen ein. Dieses Grundrecht, das eng mit der Meinungsfreiheit verbunden ist, ist eines der zentralen Elemente eines freiheitlich-demokratischen Staates. Unter Einhaltung besonderer Schutzmaßnahmen (Höchstzahl von Teilnehmer*innen, Abstandsgebot usw.) und nach Einzelfallprüfungen können seit einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes auch Demonstrationen wieder stattfinden.
Art. 11 Abs. 1 und 2 GG: Recht der Freizügigkeit
Manche Bundesländer haben die Einreise von Personen aus anderen Bundesländern verboten und damit das Recht auf Freizügigkeit praktisch außer Kraft gesetzt. Besonders drastisch sind dabei Fälle, bei denen etwa ein Besitzer einer Zweitwohnung in einem anderen Bundesland nicht in sein Eigentum konnte. Berührt ist damit auch Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie), weil Bürger*innen nicht mehr frei über ihr Eigentum verfügen können. Auch die Schließung der europäischen Binnengrenzen ist in vielerlei Hinsicht eine Einschränkung der Reise- und Bewegungsfreiheit. Damit ist europäisches Recht berührt, aber beispielsweise auch das bundesdeutsche Grundrecht auf Asyl (Art. 16 GG) etwa, wenn Asylsuchende an den Grenzen pauschal abgewiesen werden. Schrittweise wurden inzwischen die Grenzschließungen wieder aufgehoben.
Art. 12, Abs. 1 GG: Berufsfreiheit
Dieser Grundgesetzartikel garantiert die freie Berufswahl und die freie Berufsausübung. Vor allem Letztere ist durch die Schließung von nicht systemrelevanten Einzelhandelsgeschäften massiv eingeschränkt worden. Auch hier gibt es inzwischen weitreichende Lockerungen, aber eben auch ein Fortdauern der Beschränkungen in zahlreichen Bereichen wie Gastronomie, Hotellerie oder im gesamten Bereich der Kultur (Theater, Oper, Konzerte, Kinos usw.).
Art. 13 Abs. 1 GG: Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung
Mit entsprechender Ermächtigung kann ein Amtsarzt unter Anwendung von Zwang die Wohnung einer infizierten Person betreten. Das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist damit beschränkt.
Darüber hinaus sind viele weitere elementare Rechte der Bürger*innen von den Corona-Maßnahmen betroffen. Vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz), das vom Bundesverfassungsgericht in den Achtzigerjahren entwickelt wurde, steht hier in der Diskussion, wenn es etwa um die Übermittlung von Mobilfunkdaten an das Robert-Koch-Institut oder um die Einführung einer Corona-Tracing-App geht.
Quelle der Auflistung: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
Bei der Frage über die Verfassungskonformität der Corona Beschränkungen muss immer die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen betrachtet werden. Dem wurde bspw. dadurch Rechnung getragen, dass die Maßnahmen zeitlich oder lokal begrenzt waren oder sind.
Die Einschnitte waren insbesondere in der Lock Down Phase hart, jedoch kann man sich viele Beispiele in der Welt ansehen, wo ein zu viel an Freiheit bzw. ein zu wenig an Einschränkungen der Grundrechte letztlich zu vielen Infektionen und Toten durch COVID 19 geführt hat. Der Virus ist da, wird auch noch lange bleiben und dessen Langzeitfolgen sind längst noch nicht komplett erfasst. Das was aber bereits bekannt ist, macht deutlich, dass diejenigen die den Virus verharmlosen oder verneinen Leben und Gesundheit bewusst aufs Spiel setzen. Diese Menschen gefährden nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch, dass ihrer Familie, ihrer Kinder und Mitmenschen. Das finde ich unmenschlich und zutiefst asozial.
Man kann sicher diskutieren, ob einige Maßnahmen zu hart oder zu lang gegolten haben, diese Fragestellung ist aber aus der Rückwärtsbetrachtung völlig Sinn frei. Nach dem Motto „hinterher ist man immer schlauer“ zu argumentieren, ist relativ schäbig oder billig. Niemand war vorher in solch einer Situation, niemand kennt den Virus und seine Folgen bis heute so genau, dass man von Berechenbarkeit ausgehen kann. Das Grundrecht auf Leben steht daher weiter über allem anderen. Man kann sich der Entwicklung nur jeweils anpassen, das ist und wird weiter geschehen, das hat die Handlungsfähigkeit unserer Politik und unserer Demokratie bewiesen.
Für viele waren die Einschränkungen folgenschwer, teilweise bis heute existenzbedrohend, der Staat hat mit vielen Milliarden Hilfsprogrammen versucht die Folgen abzumildern und mit ständiger Nachjustierung der Beschränkungen daran gearbeitet, das richtige Maß in der Frage der Verhältnismäßigkeit zu finden. Über die Verhältnismäßigkeit und Ausgestaltung konkreter Maßnahmen kann man diskutieren, dort wo es hingehört – in den Parlamenten, und auf Basis von sachlicher Diskussion und nicht in dem Klima hysterischer Verleugnung.
Man kann auch für oder gegen die Art und Höhe der Hilfen demonstrieren, man kann auf bisher unberücksichtigte Folgen aufmerksam machen und Nachbesserungen anstreben, man kann aber bitte nicht das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Frage stellen oder gar immer noch anzweifeln, dass es den Virus überhaupt gibt.
Springen wir mal in unseren momentanen durchschnittlichen Alltag.
Ich muss in der Bahn und beim Einkaufen für eine überschaubare Zeit eine Mund Nasen Maske tragen, ich kann nicht ins Fußballstadion gehen, hab im Kino viel Platz, ich kann nur unter Auflagen an Versammlungen teilnehmen und größere Veranstaltungen stattfinden lassen und ich muss beim Reisen in besonders von COVID 19 betroffene Gebiete mit Einschränkungen leben, mich testen lassen oder gar in Quarantäne gehen. Dafür darf ich und meine Lieben aber das Grundrecht auf Leben und Gesundheit genießen und schützen.
Es ist erschreckend, dass in Deutschland dieses Grundrecht so negiert wird, mir zeigt es die Ignoranz der Grundwerte, die Ignoranz vom Wert der Gesundheit und des Lebens. Manchen in Deutschland scheint es schlicht zu gut zu gehen, dass sie eine solche Ignoranz entwickelt können. Vielleicht sollten sie mal ein Krankenhaus besuchen und mit dem Personal deren Erlebnisse aus der akuten Phase der Behandlungen von COVID 19 Patienten auswerten, vielleicht mal mit Angehörigen reden die von einer Beerdigung zurückkommen, vielleicht mal mit den (auch jungen) Menschen reden, die nach einer COVID 19 Erkrankung berufsunfähig geworden sind oder neu das Alphabet lernen müssen.
In der Wertefrage sind wir übrigens am Grundsätzlichen unserer Zeit angelangt, bei der Diskussion um den Wert des Lebens, des sozialen Miteinanders und der Art und Weise unseres Zusammenlebens. Hierfür brauchen wir wieder mehr Bewusstsein, Anstand und die Verteidigung unserer Grundwerte und Grundrechte. Dafür ist bspw. auch die Diskussion um Begrenzung von Meinungsfreiheit und Demonstrationsrechten ein Weg.
"Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt."
Immanuel Kant (1724-1804)
Thomas Thürling